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Woche 4 - Draußen Frühling, drinnen wir

 

Lesezeit: 10 Minuten

 

Draußen scheint die Sonne. Es ist Sonntag. Wir sitzen am Frühstückstisch und überlegen, was wir heute so machen. Früher waren die Optionen zahlreicher - Schwimmbad, Kino, Wandern, Essen gehen...

 

Jetzt ist Corona und die Bandbreite des To Do etwas übersichtlicher.

 

Mein Mann hat im Garten das neue, alte Zelt - original aus der DDR - aufgebaut (er ist Zeltsammler) und bemerkt, er müsse daran heute noch etwas nähen. Der kleine Sohn sortiert Bügelperlen nach Farben. Der große Sohn sitzt träumend vor seinem noch immer leeren Teller. Dafür sind seine Gehirnhälften schwer beschäftigt, sich ganz neu zu vernetzen; nennt man auch "Pubertät". Bloß nicht ansprechen...

 

Ich sitze auf dem Balkon, die wärmende Sonne im Rücken und frage mich, wie die Situation denn nun zu bewerten sei. Positiv? Weil man dem ganzen Freizeitstress derzeit aus dem Wege geht, denn Freizeit - das war vor Corona. Und damit kommt auch gleich der negative Gedanke, der des Eingesperrt-Fühlens, des nicht mehr Frei-Seins, des Eingeschränkt-Seins. In fast allen Bereichen.

 

Sofort fühle ich mich schuldig. Negative Gedanken? Oder gar ein wenig Melancholie? Das darf nicht sein, wird uns glauben gemacht. Ein Thema, das mich schon ziemlich lange umtreibt.

 

Kaum hat es sich mal eine Laus auf meiner Leber gemütlich gemacht, kommt auch schon irgendwer um die Ecke und sagt mir, das reiche nun aber wirklich und ich solle jetzt bitte sofort wieder positiv denken! Und sei es ein Selbsthilfe-Ratgeber, der mich aus einem Regal im Buchhandel förmlich anschreit.

 

Im Internet explodiert in diesen Zeiten der Unsicherheit das Angebot geradezu.

Selbsternannte Guru´s säuseln dir in wackligen Videos ins Ohr, was du machen und was du besser lassen solltest. Von der Macht der Gedanken und wie man sein Leben Ruckzuck und praktisch ohne Kraftanstrengung wieder auf Kurs bringt. Dazu braucht es nur das bezahlte Abo dieses Video-Kanals, Onlinekurses, Buches... Und so weiter.

 

Fast hat es den Anschein, wenn man sich einmal den "unguten" Gedanken und Gefühlen hingibt, müsse man dafür gleich die ganzen nächsten Jahre büßen. Denn, was man aussendet, kommt ja unmittelbar zu einem zurück. Manch einer redet gar von dreifacher Auswirkung. Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es auch zurück...

 

Ich habe mittlerweile das Gefühl, dass viele Menschen sich regelrecht getrieben fühlen, jede Emotion, die sie haben, sofort in positive Gedanken umwandeln zu müssen. Wir uns gar nicht mehr erlauben, die ganze Bandbreite an Gefühlen zuzulassen; auch mal traurig zu sein oder melancholisch, genervt oder auch zornig. Und manchmal sind wir das alles sogar auch noch ohne sofort ersichtlichen Grund!

 

Den gibt es, bestimmt.

Aber wäre es dann nicht besser, zu ergründen, warum ich mich gerade so fühle, wie ich mich fühle, anstatt sofort wieder die "positiven Gedanken" darüber zu decken?

 

Nicht falsch verstehen:

Ich rede hier nicht von Menschen, die trauern, schwere Schicksalsschläge erlitten, Depressionen oder andere Erkrankungen haben. Auch nicht von denen, deren Wasserglas pathologisch immer halbleer ist und deren Grundton beständig nur aus Meckern oder Jammern besteht.

 

Sondern von den ganz normalen Emotionen, die jeder Mensch mal hat. Und da gehört neben Freude und Glück eben auch Traurigkeit oder gelegentliches Niedergedrückt-Fühlen aus heiterem Himmel dazu. Oder auch Genervtheit. Wo Sonne ist, ist immer auch Schatten. Yin und Yang. Das eine gibt es nicht ohne das Andere.

 

Für manche Menschen ist es tatsächlich eine Erleichterung, auch diese Gefühle mal zulassen zu DÜRFEN. Die Zeitschrift "Psychologie Heute" hat dem Thema "Melancholie" und warum man sie zulassen sollte, gar eine ganze Ausgabe gewidmet: "Das Glück, nicht immer glücklich sein zu müssen." (1)

 

Zu Zeiten Albrecht Dürers (1471 - 1528) wurde die Melancholie noch als göttliches Geschenk betrachte, ein erstrebenswerter Zustand, der später dem Kosten-Nutzen-Prinzip und damit dem täglichen Kampf ums Geld zum Opfer fiel. Aktion und Aktivität wurden normal - zweifeln und suchen, verbunden mit der Sehnsucht nach Antworten, überflüssig. (2)

 

Ein homöopathisches Mittel für wechselvolle Gemütszustände könnte übrigens "Ignatia amara" sein, das aus den getrockneten Samen der Ignatiusbohne hergestellt wird. Bei der richtigen Mittelwahl spielen in der Homöopathie allerdings noch viele andere Dinge eine Rolle, daher dies hier nur am Rande.

 

Und nochmal - nicht falsch verstehen:

Ich rufe hier nicht kollektiv dazu auf, in sein halbleeres Wasserglas zu weinen, sich hängen zu lassen und zu denken, jetzt wird nie mehr etwas gut (ein Zustand, in dem es sich mitunter leider sehr leicht verweilen lässt).

 

Nein.

 

Ich denke, jedes Gefühl hat seine Daseinsberechtigung und das darf dann auch mal sein!

 

Für manch einen mag positiv Denken ja auch eine Art Kampfansage an das Schicksal sein. Wie die Patientin neulich, die, nachdem sie vom Arzt eine ungute Diagnose bekommen hatte, sagte: "Ich seh´ das jetzt einfach mal positiv. Wenn ich´s negativ sehe, ändert sich schließlich auch nichts. Und so versuche ich zumindest, in einem für mich guten Gefühl zu bleiben.

Sehr pragmatisch und ein guter Ansatz, wie ich finde.

 

Und überhaupt - natürlich ist an den oben genannten Dingen etwas dran. "Wie ich in den Wald hinein rufe, so schallt es zurück".

Wenn ich jeden Tag mit Leichenbittermiene durch meinen Tag schleiche, muss ich mich nicht wundern, vom Gegenüber kein herzliches "Guten Morgen" entgegen gerufen zu bekommen.

 

Und natürlich zieht das alles auch weitere Kreise. Wenn ich IMMER schlechte Laune habe, ziehe ich mir diese schlechte Laune auch weiter in mein Leben.

Wenn ich denke, ich schaffe das nicht - dann schaffe ich es auch nicht.

 

Ich bin zum Beispiel ein großer Fan von Louise L. Hay´s (3) positiven Affirmationen. Sie war eine lebensweise Frau und ihre Ansätze helfen, zumindest mir, sehr gut.

 

Weißt du, was für mich ein wirklich gutes "Selbsthilfe-Buch" ist? Ein Buch, wo ich mich, nachdem ich es gelesen habe oder bereits währenddessen, besser fühle. Ein Rat, wie sich mein Selbst wieder besser fühlen darf.

Nicht getrieben, irgendetwas tun zu müssen, angehen zu müssen, beweisen zu müssen.

 

Aber das ist natürlich für jeden individuell. Was für mich Louise L. Hay ist, kann für dich der Guru im Internet sein. Meine Lehrerin sagte einmal: "Wer heilt, hat Recht". Und das kann bei dem einen dies und beim anderen das sein.

 

Kollektiv-Empfehlungen sind daher fehl am Platz. Was mir hilft, kann dich vielleicht nerven. Was dir hilft, kann mir wiederum gar nichts sagen.

 

Jeder kann also ganz individuell herausfinden, was ihm gut tut.

Ohne Ruckzuck und mit einer doch gewissen Kraftaufwendung. Das kann kein kein anderer für dich übernehmen. Und du für keinen anderen.

Tipps sind natürlich erlaubt - aber ihre Erfüllung kein Muss.

 

Und während ich hier so schreibe, sitzend auf dem Balkon - die Sonne scheint, die Temperaturen sind milde - wurde es mir bewusst:

Die komplette Wiese vor unserem Haus, der Fußweg, die Straße, der Spielplatz - leer!

Das gab´s noch nie bei so einem Wetter!

 

Keiner da, außer dem Frühling...

 

Ich genieße den Moment der völligen Stille.

 

Und freue mich darauf, wenn unsere gemeinsame Welt da draußen irgendwann wieder erwacht.

 

Alles wird gut.

 

Deine Daniela

 

Blog Woche 4 - Draußen Frühling, drinnen wir

 

Quellen:

1. Psychologie Heute, Nr. 47/2016

2. "Ermutigung zum Coming Out", Psychologie Heute, Nr. 47/2016

3. "Louise Hay", Wikipedia, 17.12.18


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© 2020 - Daniela Bezold

 

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