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Decken auf Köpfen

 

Achtung! Dieser Text könnte Teile von Sarkasmus beinhalten. Solltest du damit nicht vertraut sein oder diesen gar ablehnen, lautet die dringende Empfehlung, ab hier nicht weiterzulesen.

 

So, jetzt ist es passiert.

Mir ist die Decke auf den Kopf gefallen.

 

Das kam ganz plötzlich. Mir war vorher gar nicht aufgefallen, dass da oben was locker war.

 

Ich hatte mich zuvor schon eine ganze Weile in dem Zimmer aufgehalten. Hatte gelesen, dann kam eine Idee - ich an den Computer und drauflos geschrieben. Neben mir die Kaffeetasse, vor mir das Fenster - oh, der Kirschbaum im Nachbargarten blüht ja schon, im Ohr die Ohropax.

 

Denn, im Nebenzimmer: Die Kinder, die ja momentan immer Zuhause sind und sich dementsprechend fragen, was man denn den ganzen Tag so machen könnte, außer sich langweilen. Sehr lautstark "Ich weiß was" (und das meist besser als der Bruder) spielen ist zum Beispiel eine gute Idee.

 

Ich versuche nun also hier im sehr Stillen zu arbeiten und da die Brüder, sehr laut.

Ein Umstand, der nur sehr begrenzt nebeneinander her existieren kann. Wenn man zum Beispiel eine große Wohnung hat. So 1.000 qm, das Arbeitszimmer am einen, das Kinderzimmer am anderen Ende...

 

Haben wir aber nicht.

 

Also, Computer wieder aus. Hat ja so keinen Sinn. Die Brüder haben nämlich zwischendrin von "Ich weiß was" auf "Wilde Bewegungsspiele" umgeschwenkt, was meiner Konzentration auch nicht gerade förderlich ist.

 

Ich stehe einen Moment unschlüssig herum und fange dann an, die Wäsche abzuhängen, zu falten und zu schichten. Gute Idee, da ist ganz schön was zusammen gekommen. Das mache ich jetzt. Ungefähr zwei Minuten lang. Dann kommt ein aufgeschlagenes Knie auf mich zu mit etwas weiter oben an dem kleinen Körper angesiedelten Tränen. Wilde Bewegungsspiele fordern ihren Tribut.

 

Ich komme also meiner Beruf(ung) nach: Knie desinfizieren (ja, ich hab noch Desinfektionsmittel...), Pflaster (sehr groß müssen sie sein, die Pflaster, das ist bei solch lebensbedrohenden Verletzungen wichtig!), Globuli, Taschentuch. Wiederum mein Knie bieten zum drauf setzen und trösten.

 

Nach drei Minuten - genauso lange dauert die Blutstillung (1) - und ein wenig Schnüffschnüff ist alles wieder okay. Wilde Spiele gehen jetzt allerdings nicht mehr.

 

Jetzt wird der Computer gefordert (mit Passwort gesichert) oder der Fernseher (Kindersicherung). Auf meinen Vorschlag, doch einfach auf der Couch zu sitzen und ein Buch zu lesen: Ein langer, leidender, anklagender Blick.

 

Stimmt, nach schweren Verletzungen ist die Konzentration sicher nicht die Beste.

Also gebe ich seufzend den Code ein und überlasse die beiden den Sphären der Berieselung. Denn selbstverständlich muss der Bruder jetzt auch MITschauen. Er hat ja schließlich eben auch MITgelitten. Naja...

 

Immerhin mal eine halbe Stunde Ruhe.

Der Wäscheberg dezimiert sich zügig und wandert vom "Wilder-Haufen-Wäschekorb" in den "Ordentlich-gefaltet-Behälter". Fertig. Eigentlich ganz schön was weggeschafft. Und nun?

 

Arbeiten kann ich noch immer nicht, denn statt der Brüder plärrt nun der Fernseher.

Raus kann ich auch nicht, schwer verletzte Kinder kann man ja nicht einfach alleine lassen.

 

Also mache ich mir einen Tee (ja, gelegentlich trinke ich auch mal einen Tee) und setze mich ans Fenster. Mittlerweile hat es begonnen zu regnen. Obwohl er das Wasser braucht, sieht der Kirschbaum drüben irgendwie traurig aus.

 

In mir drin sieht es auch irgendwie traurig aus.

Ich denke mir, dass das ja jetzt noch einige Wochen so weitergehen wird.

 

Dass wir nicht wie gewohnt zur Arbeit gehen können, die Kinder nicht wie gewohnt zur Schule. Dass das Einkaufen mit Handschuhen, streng limitierten Einkaufswagen und einem damit verbundenen Schnell-Rein-Kaufen-Raus auch nicht mehr so ist, wie es mal war. Kein Bummeln mehr, keine Zeit um die Nährwertangaben auf den Packungen zu studieren, keine Gelegenheit mehr zum sich durch den Markt treiben lassen, Rumstehen und Überlegen, was man denn in den nächsten Tagen so kochen möchte.

Denn der Nächste wartet ja schon in der Schlange auf die Zuteilung SEINES Einkaufswagens. Nach der Desinfektion.

 

Haben sich so die Menschen im Krieg gefühlt? Als sie mit den Lebensmittelmarken vor den Läden standen? Fast kann ich es mir vorstellen.

 

Blog - Decken auf Köpfen

Und bei all diesen Überlegungen ist es dann ganz plötzlich passiert. Die besagte Decke ist mir auf den Kopf gefallen! Immerhin betraf es nur mich, denn die Brüder befanden sich zu der Zeit in einem anderen Kosmos - dem, der lustigen Fernsehunterhaltung.

 

Und das ist gut so.

Denn wir müssen uns nicht immerzu Gedanken machen.

 

Über Verschwörungstheorien nachdenken und wer mit wem unter einer Decke steckt (Wortspiel...).

Über die Krise nachdenken und was sie mit uns macht.

Über die Krankheit nachdenken und ob sie uns bald ebenfalls erreicht.

Über die Arbeit nachdenken und ob sie danach noch so ist, wie sie war.

"Nach innen gehen" und über uns selbst nachdenken und was wir denn jetzt mit unserer vielen Zeit anfangen sollen.

 

Das hält ja kein Mensch aus, hat neulich eine Freundin gesagt. Und sie hat Recht.

 

Wir können auch einfach mal abschalten.

 

Das Gedankenkarussell anhalten und durchatmen. Uns freuen, dass wir es können.

Aber auch mal traurig sein.

 

Es wird Veränderung geben, das ist Fakt.

Veränderung bedeutet, Altes, Liebgewonnenes, Vertrautes loszulassen. Und das DARF auch mal traurig machen und sich etwas holprig anfühlen.

 

Sei gewiss:

Die Wogen werden sich auch wieder glätten. Veränderung geschieht im Leben ständig.

 

Ein Zitat von Samuel Taylor Coleridge (2) passt sehr gut dazu, wie ich finde:

 

Leben ist Veränderung.

Dieser Veränderung zu widerstehen,

wirkt dem Lebensfluss mehr entgegen,

als sich ihr zu ergeben.

Die Essenz des Lebens ist dessen Verlauf:

Die Ereignisse, Bedingungen und Erfahrungen,

die uns formen und zeitweise auch aus der Bahn werfen.

 

Mr. Coleridge hat übrigens von 1772 bis 1834 gelebt.

Du siehst also: Das war schon immer so.

 

Pass gut auf dich auf!

Du wirst gebraucht!

 

Und beobachte mal besser die Decke über dir. Sicher ist sicher...

 

Deine Daniela

 

Quellen:

1. "Blutstillung - Hämostase", medizin-kompakt

2. "Samuel Taylor Coleridge", Wikipedia, 13.01.2020

 

© 2020 - Daniela Bezold

 

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