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Woche 3 - Die Wut

 

Heute hat mich die Wut gepackt.

Ganz fest hat sie mich am Schopf gefasst und kräftig durchgeschüttelt.

 

Dabei hatte ich sie anfangs nicht mal bemerkt.

 

Bin ganz normal raus heute früh und gelaufen und mit einem Mal war da etwas anders als gestern noch. Hatte plötzlich so eine Wut in mir. Vielleicht hatte das etwas mit den Schildern zu tun, an denen ich vorbei gekommen bin?

"Bleibt Zuhause!" - im Befehlston!

 

Jemand hat es sogar auf seine Garage geschrieben. In Kinderschrift.

Wurde hier ein Kind dazu angehalten, dies auf die Garage zu schreiben? Immerhin, es hat noch einen Regenbogen dazu gemalt...

 

Wo kommt das plötzlich her? Dass wir meinen, Anderen in entschiedenem Ton sagen zu können, was sie tun oder lassen sollten? Wer die Vorgaben der Regierung missachtet, wird sich auch nicht daran halten, weil es auf einer Garage steht...

 

Kennst du das?

So eine Wut tief in dir drin? Die in dir wühlt und eigentlich gar nicht sein darf, weil ja alles, was im Moment ist und gemacht wird, auch so sein sein muss? Wegen des Virus...

 

Diese ganze "Beschneidung unserer Persönlichkeitsrechte", wie das so schön heißt.

 

Dass wir nicht mehr raus dürfen, wann wir wollen. Wo wir wollen. Und mit wem wir wollen. Dass Polizeiautos unterwegs sind und demnächst vielleicht sogar Drohnen, die überwachen, ob wir uns daran halten.

 

Dass unsere Handydaten gemessen und weitergegeben werden, um unsere derzeitige Mobilität zu überprüfen. (1) Lange darüber gestritten und plötzlich völlig legal.

 

Dass psychedelische Lautsprecherdurchsagen durch unsere Städte hallen "Bleiben Sie Zuhause...". (2) Furchterregend, fast hypnotisch...

 

Die Londoner Polizei fährt dagegen mit Booten auf der Themse und spielt "Always Look On The Bright Side Of Life". (3) Eine kleine Aufmunterung in schweren Zeiten und ein kleiner aber feiner Unterschied zum Umgang mit der Situation.

 

Oder dass wir unseren Kindern Zuhause die Schule ersetzen sollen, die Kita.

Dass ein Arbeitsauftrag nach dem anderen von der Schule geschickt wird. Die Kinder ermahnt werden: Es sind keine Ferien!

Dass wir von Bildungspolitikern aber trotzdem zugleich in unsere Schranken gewiesen werden. Wir seien kein Fachpersonal, "nur" Eltern und es sei klar, dass wir das nur sehr eingeschränkt überhaupt könnten, unsere Kinder unterrichten. Und dass das auch gar nicht unsere Aufgabe wäre (Häh? Widerspricht sich das gerade in sich selbst oder habe nur ich dieses Gefühl?). Und wenn das alles hier rum sei, dann, ja dann würde das Fachpersonal, die Lehrer, das wieder richten, was wir hier angerichtet haben, wir Eltern.

 

Ja, ich weiß. Ich lehne mich gerade sehr weit aus dem Fenster. Fast falle ich raus.

 

Und ich sehe dich förmlich vor mir, nun ebenfalls wütend ob meiner Worte, wie du dich zurück lehnst und sagst: Die spinnt doch! All diese Maßnahmen sind doch zu unserem Schutz! Und nötig!

 

Und du hast Recht.

 

Trotzdem. Die Wut ist da. Meine ganz persönliche, eigene Wut über die Machtlosigkeit darüber, was hier gerade mit uns passiert.

 

Es gibt momentan zwei Lager:

Die, die sich an alle Maßnahmen halten, sie verteidigen, Furcht haben, was da noch alles auf uns zu kommen mag. Die "Bleibt Zuhause"-Schilder malen.

 

Und die, die alles negieren. Die sagen, es sei Irrsinn, unsere komplette Wirtschaft zu ruinieren. Wegen eines Virus, dessen Krankheitsverläufe meist milder seien, als die des Influenzavirus. Und die sich wundern, dass es nur einen Monat braucht, damit konträre Meinungen nicht mehr erwünscht sind, andersdenkende Wissenschaftler von der Menge praktisch niedergeschwiegen werden.

 

Bleibt uns bald nur noch plakativer Boulevard-Journalismus?

Oder blenden wir alles aus? Weil wir irgendwann keine Nachrichten, egal ob gut oder schlecht, mehr hören können?

 

Wenn wir vermeintlich ausweglos unveränderbaren, äußeren Umständen ausgesetzt sind, reagieren wir meist mit zwei völlig gegensätzlichen Gefühlen: Aggression oder Rückzug.

 

Oder beides. Nacheinander. Erst kommt die Wut, die langsam verhallt.

Dann der Rückzug und die oft damit verbundene Resignation.

 

Denn diese Wut hat kein Ziel.

 

Auf wen soll ich schon wütend sein?

Auf ein Virus, so klein, dass man es nur mit einem Mikroskop erkennen kann und das hier gerade ohne An- und Verstand Angst und Schrecken verbreitet? Auf eine Regierung, die mit bestem Wissen und Gewissen versucht, ihre Bürger vor Schlimmerem zu bewahren? Auf die Wissenschaftler, die sagen, das Schlimme sei gar nicht so schlimm wie befürchtet? Oder gar auf die Menschen, die in Furcht sind und in all ihrer Hilflosigkeit Schilder malen?

 

Eben...

Es gibt kein Ziel.

 

Deshalb kommt nach der Wut der Rückzug.

In dem Bewusstsein, dass dies alles nicht schnell vorbei sein und noch viele Wochen der lange Atem nötig sein wird.

 

Dennoch sind beide Empfindungen - Wut und Rückzug - nicht per se schlecht.

In der Wut ist man handlungsfähig, man kann über sich selbst hinauswachsen.

 

Wenn man sich zurück zieht, ist man sich selbst wieder näher und macht sich Gedanken mit einer gewissen Distanz zum Außen.

 

Ich denke, jeder muss sich eine eigene Meinung zu allem, was momentan ist, bilden.

 

Und das ist gleichzeitig meine Bitte an dich:

Bilde dir eine eigene Meinung. Bleibe kritisch - hinterfrage Dinge.

Lass dich nicht zu sehr beeinflussen von all den Nachrichten und den vielen Standpunkten der anderen. Und von der Furcht, die überall herrscht. Finde in die Stille und denke darüber nach, was DU darüber denkst. Und bleibe bei allem fair - auch der Andere hat seine ganz eigene Sicht der Dinge.

 

Denn das ist etwas, was dir keiner nehmen kann:

Deine freien Gedanken. Deinen freien Willen. Deine Art, mit dem Allem umzugehen.

 

Und lass die Resignation nicht überhand nehmen.

 

Es gibt Dinge - die sind gut. Und die bleiben das auch.

Es gibt Menschen - die tun dir gut. Bleibt in Kontakt, redet miteinander.

 

Du machst das schon, da bin ich ganz sicher.

Und ich auch.

 

Alles Gute!

 

Deine Daniela

 

Nachtrag vom 2. April:

Gerade habe ich es gelesen - die Garagen mit den Regenbogen sind eine Aktion im Zeichen von #CoronaCare.

Also, falls jemand beim Lesen meines Textes zufällig einen Schlips um hatte und sich auf denselbigen getreten fühlte, bitte ich dies vielmals zu entschuldigen.

 

Deine Daniela

 

Quellen:

1. "RKI will mit Handydaten Mobilität der Bevoelkerung messen", Stern, 18.03.2020

2. "Corona-Regeln: Lautsprecherdurchsagen sorgen für Aufregung", BR24, 21.03.2020

3. "Aufmunterung- in Zeiten von Corona", BR24, 22.03.2020


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© 2020 - Daniela Bezold

 

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